In Memoriam Wolfram Kleiss (1930-2020)

Wolfram Kleiss, geboren 1930 in Berlin, studierte nach dem Abitur in Berlin an der Technischen Universität Architektur und Baugeschichte, u. a. bei Ernst Heinrich. Nach seinem Ingenieur Examen promovierte er 1959 über “Die öffentlichen Gebäude von Campodunum“. Dafür erhielt er das Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts, das ihn erstmals in den Orient und damit auch in den Iran brachte. Im Anschluss wurde er 1960 Referent für Bauforschung an der Abteilung Istanbul des DAI. In kurzer Zeit entstanden Aufsätze zu byzantinischen Kirchenbauten und ein topographischer Plan von Istanbul. Im Auftrag von Afif Erzen von der Universität Istanbul fertigte er in dieser Zeit Planaufnahmen in Van und Toprakkale an und kam damit erstmals in Kontakt mit urartäischer Kultur. Im Zusammenhang mit diesen Arbeiten entstand bereits ein immer wieder viel zitierter Aufsatz. „Zur Rekonstruktion des urartäischen Tempels“.

Seit 1960 arbeitete er im Sommer in Iran bei den Grabungen am Zendan-i Suleiman mit, die von der Abt. Istanbul des DAI dort durchgeführt wurden. 1962 wurde er von Istanbul an die neugegründete Abt. Teheran des DAI versetzt. Dort arbeitete er weiter als Leiter der Zendan Grabung bis 1965. Eine Publikation der Bauwerke erschien 1971. Die nächsten Jahre arbeitete er dann als stellvertretender Leiter der Ausgrabung in Bisotun. 1967 wurde er zum zweiten Direktor der Abt. Teheran gewählt. Dies ist auch das Jahr, in dem er mit umfangreichen Erkundungsfahrten in Nord-West Iran begann, die er im Grunde bis 1978 jährlich und später unregelmäßig fortsetzte. Er notierte und dokumentierte alles, was auf dem Wege lag, vom prähistorischen Siedlungshügel bis zum Kiosk aus dem 19. Jahrhundert. Besonders gelegen kam ihm dabei seine zeichnerische Begabung und sein Blick für topographische Situationen. Mit schnellem Strich fertigte er Karten, Skizzen oder Pläne von allen Objekten an. Besonders seine in der Zunft berühmt-berüchtigten unmaßstäblichen Skizzen ermöglichtem es ihm viele tausende von Zeichnungen in kurzer Zeit zu verfertigen, für die er ansonsten Stunden oder Tage gebraucht hätte. Der durch die Vielzahl an Dokumentationen erreichte Informationsvorsprung ist noch heute unübertroffen. Erste Ergebnisse dieser Reisen waren Berichte und Planaufnahmen des Klosters des heiligen Thaddaeus bei Maku. Bereits im Jahre 1967 gelang ihm die Entdeckung der urartäischen Festung Bastam/Rusa-i-URU.TUR und eines Dutzend weiterer urartäischer Plätze. Die beiden ersten Reisen 1967 und 1968 legte er bereits 1969 in einer umfangreichen Publikation in AMI NF vor. Weitere erste Berichte erschienen in den Istanbuler Mitteilungen. Einen nicht zu unterschätzenden Anteil an diesen Erkundungsfahrten und seinen späteren Projekten hatte seine Ehefrau Helene Plagemann-Kleiss. Mit geringen Institutsmitteln führte er 1968 einige Sondagen in Sangar und Bastam durch. 1969 begann dann jedoch eine erste umfangreiche Grabungskampagne in Bastam, unterstützt durch die iranischen Behörden, die zwei Monate dauerte. Sowohl die erste Grabungskampagne, wie die zweite 1970, wurde umgehend in den Archäologischen Mitteilungen aus Iran veröffentlicht, unter Einschluss der keilinschriftlichen Funde durch Einar v. Schuler.

1971 pausierte er in Bastam und widmete sich weiteren umfangreichen Reisen mit erstaunlichen Ergebnissen. Nahe Miyaneh besuchte er Qaleh Zohak, das schon 1832 von Col. William Monteith beschrieben worden war. Er erkannte das wahre Ausmaß dieser riesigen hellenistisch-parthischen Doppelfestungsanlage und fertigte vorerst eine Planskizze an, die er bei zwei weiteren Besuchen 1972 vervollständigte und zusammen mir einer Vielzahl an Architekturfunden und Keramik vorlegte. In Ost-Azarbaidjan besuchte er drei schon bekannte urartäische Inschriften und entdeckte dazugehörige prähistorische Burgen (Razliq, Nashteban), in einem Fall sogar eine daneben errichtete urartäische Festung (Seqindel). 1971 war auch das Jahr in dem Wolfram Kleiss zum 1. Direktor der Abteilung gewählt wurde. Ab 1973 wurde ihm Peter Calmeyer als 2. wissenschaftlicher Direktor zur Seite gestellt.

Weitere ausgedehnte Grabungskampagnen folgten in Bastam bis 1978. Auch die Zahl der Mitarbeiter erweiterte sich von Jahr zu Jahr. Schon 1970 war die Paläoanatomie durch Rainer Krauß und Joachim Boessneck vertreten, um Tierknochenreste zu analysieren. Gleichfalls wurden Pflanzen und Holzreste gesammelt, und ab 1977 von Ingrid Reindell durch Schlämmen und Sieben erfasst. Seit 1975 arbeitete Paul Zimansky mit, der sich in der Folge besonders der Erforschung der Struktur des Urartäischen Staates widmete. 1976 pausierte die Grabung wieder, da Kleiss als Generalsekretär in München den VII. Internationalen Kongress für Iranische Kunst und Archäologie ausrichtete. Begleitet wurde dieser Kongress von zwei Ausstellungen zu Urartu und Takht-i Suleiman in der Prähistorischen Staatssammlung. Zudem erschien in Zusammenarbeit mit Harald Hauptmann eine „Topographische Karte von Urartu“, auch heute noch nach vielen Jahrzehnten ein Standardwerk. Besonders gegen Ende der letzten Kampagnen 1977 und 1987 kam Peter Calmeyer zusammen mit seiner Frau Ursula Calmeyer-Seidl nach Bastam, um bei der Bearbeitung der jetzt sehr zahlreichen Funde zu helfen. In den Grabungen auf der Oberburg wurden seit 1975 viele hundert Tonbullen gefunden, die Siegelabdrücke und zum Teil Inschriften trugen.

Peter Calmeyer war die treibende Kraft, dass die weiteren Ergebnisse der Grabung Bastam bis zum abrupten Grabungsende 1978 in zwei opulenten Bänden unter Mitarbeit zahlreicher Wissenschaftler sehr zeitnah veröffentlicht wurden: Bastam I 1979 und Bastam II 1988. Peter Calmeyer war dann auch wesentlich dafür verantwortlich, dass Kleiss die Ergebnisse seiner zahlreichen Forschungsreisen nicht mehr als Erkundungsfahrten publizierte, sondern strukturiert nach Regionen und Themen veröffentlichte. So konnten besonders hervorragende Fundplätze wie die befestigte frühbronzezeitliche Siedlung Ravaz (heute Kohne Shahar) mit allen Funden und Beobachtungen veröffentlicht werden (1979), ebenso wie die Burgen von Seqindel Libliuni (1980). Weitere Reisen führten ihn aber in alle Landesteile, insbesondere in die Gegend von Persepolis.

Die Iranische Revolution von 1979 war ein tiefer Einschnitt in die archäologische Tätigkeit von Wolfram Kleiss. Die Ausgrabung in Bastam wurde unterbrochen und konnte nie wieder von ihm aufgenommen werden. Die freie Beweglichkeit wurde stark eingeschränkt. Seine Spezialität in Nord-West-Iran nach urartäischen Plätzen zu forschen, konnte er kaum noch verfolgen- Aus dieser Situation versuchte er das beste zu machen, indem er Forschungsfahrten von Teheran aus unternahm, die meist auf ein oder zwei Tage beschränkt sein mussten. Er untersuchte alte Karawanenrouten, dokumentierte Karawanserails, Strassenstationen, Brücken, Dämme. Dabei notierte er zahlreiche andere antike Monumente, insbesondere prähistorische Siedlungshügel und auch Festungsanlagen. Seine Forschungen in Khowrabad und Djamgaran nahe Qom waren wegweisend für viele spätere Untersuchungen. Von 1985 an konnte er das Institut in Teheran nur noch mehrmals im Jahr für jeweils 4 Wochen von Deutschland aus besuchen, wo er jetzt in Berlin wohnte. Seine Forschungsfahrten in alle Landesteile setzte er jedoch bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1995 unbeirrt fort. Wesentliche Ergebnisse dieser späten Forschungen sind seine Monographien zu den Iranischen Karawanserails, zuerst auf Persisch zusammen mit M. Kiani publiziert, später dann in 6 Bänden auf Deutsch. Höhepunkt seines Schaffens ist sicherlich sein großes Buch „Geschichte der Architektur Irans“, das 2015 erschien. 1917 wurde es ins Persische übersetzt und mit dem World Award for the Book of the Year of the Islamic Republic of Iran im Bereich Iranstudien ausgezeichnet. Besonders hervorzuheben sind seine letzten ganz andersartigen Werke, die er zusammen mit seiner langjährigen Lebenspartnerin Liselotte Soltani verfasste: „Taubenhäuser in Deutschland und Europa“ (2005) und „Taubenhäuser in Europa, Iran und Ägypten“ (2017).

Weit über 300 Publikationen sind das Vermächtnis seines erfüllten Lebens (http://www.biainili-urartu.de/Iran/bibliography%20wolfram%20kleiss.htm). Obwohl in den letzten Jahren stark von Krankheit gezeichnet, war er geistig hellwach und konnte noch im November 2020 seinen 90. Geburtstag feiern – dies Ziel hatte er seit langem vor Augen gehabt. Als Geburtstagsgeschenk wurde ihm die persische Übersetzung der Publikationen Bastam I und II vom DAI und dem Iranischen Antikendienst präsentiert. Kurz darauf im Dezember 2020 verstarb er plötzlich. Seine Arbeit war in weiten Bereichen die Grundlage für weitere Forschungen. Er hinterlässt Familie, Freunde und Kollegen in tiefer Trauer. Tagebücher, Pläne, Fotos und Diapositive befinden sich im Archiv des DAI in Berlin.

Stephan Kroll 2021